Wer sich zum Geburtstag oder zu sonst einem Anlass (den man ja auch erfinden kann!) etwas besonders gönnen will und noch dazu einen schönen Herbsttag zur Verfügung hat, der sollte eine Fahrt nach Dorfgastein in Betracht ziehe, sich dort ein E-Bike mieten und eine Bike & Hike-Tour unternehmen. Der Bernkogel-Gipfel mit seiner berühmten Aussicht wird die Krönung sein.
Den vorderste Wagon des Zugs von Salzburg nach Klagenfurt (8:12) teile ich mit nur wenigen Reisenden. Wieder einmal geht es nach Dorfgastein, einem 1A-Ausgangspunkt für Öffi-Touren. Laut Internet kann man dort bei einem Sporthaus nahe der Talstation der Fulseckbahn Fahrräder mieten.
Im Tal liegt Nebel, es ist frisch, fast kalt.
Durch die Bahn-Unterführung, über die Bundesstraße und hinauf Richtung Talstation der Bergbahn. Ich habe hier noch nie ein E-Bike gemietet… Etwas unsicher betrete ich das Geschäft, vor dem die tollen Geräte schon posieren. Patrick empfängt mich, als hätte er auf mich gewartet. Ich fülle ein Formular aus und berappe 54,– Euro (mit Helm; „Den soll man unbedingt nehmen!“). Patrick weist mich ein, gibt mir Tipps für die geplante Route und es geht los.
Bike
Zum Glück habe ich Handschuhe dabei, im kalten Talnebel.
Die Technik funktioniert perfekt, und meine Begeisterung auch. Schon hab ich die föhnig-warme Luftströmung erreicht.
Flott geht es bergan, prächtige Ahorngruppen, die vor einigen hundert Jahren gekeimt haben mögen, beleben die Almwiesen.
Die gut ausgeschilderte Route leiten mich schnurstracks zur Amoseralm. Eine Gruppe E-Biker mit Führer pausieren und machen mir den Weg frei.
Kaum eine Stunde nach meiner Ankunft am Bahnhof parke ich mein Bike: „Ziel“ steht bei der Amoser Hochalm gebieterisch.
Hike
Nun darf ich gehen, Schritt für Schritt, die würzige Herbstluft einsaugen…
Die Augen gehen mir über ob der Farben, die Lärchen und Wiesen für mich bereit halten. Irgendwie ergibt es sich, dass ich die Runde, die ich am heimatlichen Schreibtisch projektiert hatte, in die Gegenrichtung unternehme: nicht am Nachmittag im Schatten des Bernkogels queren, sondern jetzt gleich auf die Sonne zu wandern.
Der auf der ÖK punktierte Weg entpuppt sich als „Bettlersteig“, der gut gepflegt, beschildert und markiert ist.
Meine Arme sind zu kurz, um den Berg, die Bäume und die Wiesen hinauf bis zum abnehmenden Mond umarmen zu könnte – aber ich tute es trotzdem… Weich berühren die Sohlen meiner Schuhe den Nadel-Teppich.
Die den Weg begrenzenden Samenstände leuchten weiß im Gegenlicht, weiß wie meine Haare im Herbst des Lebens…
Bevor man die Heinreichalm erreicht, zweigt mein Steig scharf nach rechts ab.
Eingeschlagene, markierte Holzpflöcke leisten in den Wiesen und Zwergstrauchheiden unentbehrliche Dienst.
Ist es für Dich auch immer ein besonderer Moment, wenn Du Dich einer Scharte näherst?
Die Spannung, die sich aufgebaut hat, entlädt sich im Bestaunen des sich darbietenden Panoramas.
Der markierte, höhere Bernkogel bildet mit dem Sladinkopf ein Zweigestirn. Doch auch auf diesen zeigt die ÖK einen punktierten Steig… Natürlich erforsche ich diesen – er ist steil aber gut gangbar, an einer Stelle mit Seilen gesichert – für alle Fälle.
Als ich, beim Gipfelkreuz verweilend, in die Runde blicke, kommt vom Bernkogel her ein flotter Wanderer. „Gibt es einen Weg am Grat hinüber?“ frage ich. – „Ja, der ist kein Problem, drüben an der felsigen Stelle ist ein Seil…“
Mein Entschluss festigt sich, wird ausgeführt, und die Gratüberschreitung ist gelungen.
Die Biker-Gruppe mit ihrem Führer ist auch gerade angekommen.
Für eine Rast ist es mir hier mit mehr als 10 Personen am Gipfel zu turbulent, doch ein Foto hinunter zum Amoser Hochalm, dem Rad-Abstellplatz, muss sein.
Auf der ÖK ist ein punktierter Steig über den Nordgrat eingezeichnet. Ermutigt durch die bisherigen Erfahrungen betreten meine Füße erneut unbekanntes Terrain. Gleich fällt mir auf, dass die Steigspuren hier viel schwächer ausgeprägt sind als bisher, ja mitunter ganz fehlen. Nun gut, mal sehen… Offenbar wird dieser Grat kaum benutzt. Aufgestellte Steine weisen zwar verlässlich den besten Weg aber die zunehmende Steilheit des Geländes und die Tiefblicke… Ich streife meine „Snow-Spikes“ über die Schuhe: so bin ich dem welken, langen Gras besser gewachsen… Schlimmstenfalls muss ich umdrehen und nochmal hinauf; ich habe ja Zeit… Als ich endlich nach rechts in die, noch immer beachtlich steile, Schuttrinne ausqueren kann, bin ich erleichtert.
Nun ist die Zeit für eine ausgiebige Rast gekommen: Ich folge dem flachen Wiesenrücken bis zu einem großen Almkreuz (auf der ÖK falsch eingezeichnet), stärke mich, lege mich in die Sonne, lese, genieße…
Etwa eine Stunde vor Abfahrt meines Zuges (16:37) breche ich meine Zelte ab; „Sollte sich ausgehen“, sage ich zu mir selbst.
Die Almstraße bietet reinstes Fahrvergnügen, Schlaglöcher sind Fremdwörter.
Patrick empfängt mich mit derselben Freundlichkeit wie des Morgens. Es bleibt noch Zeit, ein wenig zu erzählen, Erfahrungen auszutauschen, bevor ich, mit guter Zeitreserve, dem vertrauten Bahnhof zustrebe, nicht ohne nochmal (auch aus dem Zug) hinaufzublicken zu Bernkogel und Sladinkopf, die mir ab heute viel zu erzählen haben.
Den Bernkogel am Eingang des Gasteiner Tals halte ich für einen Ausnahme-Aussichtsberg, besonders nach dem ersten herbstlichen Schneefall: Vom Hochgolling über die Hafner- und Ankogelgruppe imponiert besonders die Glocknergruppe; Kitzbühler Alpen, Wilder Kaiser, Hochkönig, Dachstein ja selbst das Gesäuse gehören zum Panorama.
Von der Amoser Hochalm ist der Gipfel auf schönen beschilderten und markierten Wegen zu erreichen. Wer eine sanftere Runde als die hier beschriebene machen möchte, quert am markierten Weg unter dem Sladinkopf und erreicht so über die Westflanke den Bernkogel. Wer den Nordgrat kennenlernen will, sollte dies – meiner Meinung nach – allenfalls im Aufstieg versuchen: So kann er gleich am Anfang, der steilsten Stelle, einschätzen, ob er dieser Herausforderung mit Freude gewachsen ist.
50,– E-Bike-Miete lohnten sich für mich, sind aber nicht jedermanns Sache; dafür muss man sich eben einen Anlass suchen.
Was für glückliche Momente! <3