Eine Hochtour der Superlative: Ein 750 Meter langer Grat aus Fels und Firn führt auf den höchsten Berg und einzigen 4.000er der Ostalpen, den Piz Bernina. Als Draufgabe am nächsten Tag bietet sich die Piz Palü Traverse an, welche bereits für sich ein Highlight ist. Solche besonderen und namhaften Touren haben aber einen Nachteil: Sie sind häufig überlaufen… der Biancograt vor allem zur Hauptsaison im Juni und Juli. Später im Sommer ist der Grat heutzutage oft vereist, was eine Begehung um ein Vielfaches anspruchsvoller macht.
Wir hatten aber Glück: Aufgrund eines vergleichsweise kühlen und niederschlagsreichen Julis haben wir Mitte August 2025 passable Bedingungen vorgefunden. Der große Ansturm blieb aus und so konnten wir die Tour in vollsten Zügen ohne Stress und Stau genießen. Dennoch darf man diese Tour nicht unterschätzen.
Achtung: Für diese Tour ist einiges an Erfahrung notwendig! Wenn man nicht mit alpinen Sicherungstechniken, Spaltenbergung und Hochtourenplanung vertraut ist, sollte man diese Tour nur mit Bergführer durchführen.
Video zum Biancograt
Steckbrief
| Tag 1: Pontresina – Tschierva Hütte | 13 km, +800 hm, 3 Std. | T2/mittel |
| Tag 2: Biancograt – Piz Bernina – Rifugio Marco e Rosa | 6 km, +1.500/-500 hm, 10-12 Std. | ZS+, UIAA 3 |
| Tag 3: Piz Palü Traverse – Diavolezza | 15 km, +600/-2.100 hm, 8 Std. | WS, UIAA 2 |
Ausrüstung
Wir sind mit einem 50-Meter-Seil und 5 verlängerbaren Expressschlingen gut zurechtgekommen, zusätzliche Felsausrüstung haben wir nicht benötigt. Als Ergänzung zur klassischen Hochtourenausrüstung empfehlen wir zumindest eine weitere Eisschraube. Bei Vereisung am Grat kann auch ein Eisgerät hilfreich sein.
Bereits die Anreise über die Albulalinie, welche zu den Weltkulturerbestätten zählt, ist ein Erlebnis. 144 Brücken und 42 Tunnel passiert man auf der Strecke zwischen dem Hinterrheintal und Oberengadin. Die knappen Umstiege in Chur und Samedan klappen meist problemlos, da der Fahrplan der Züge aufeinander abgestimmt ist. Alternativ kann man von Innsbruck kommend auch mit dem Bus über das Oberinntal anreisen. Umsteigen müsste man in Landeck, Pfunds und Scoul.

Zustieg zur Tschierva Hütte
Am Bahnhof Pontresina starten wir Richtung Süden und erblicken bald eine Ansammlung an Wegweisern. Wir suchen den Pfeil zur Tschierva Hütte und folgen diesem. Ohne viel Höhenunterschied geht es taleinwärts ins Val Roseg. Bei Interesse könnte man die 7 Kilometer bis zum Restaurant Roseg Gletscher auch in einer Kutsche zurücklegen (25 CHF, Vorreservierung notwendig). Nach der Alp Roseg zweigen wir links ab, der Weg wird allmählich steiler und schlussendlich erreichen wir die Tschierva Hütte, unser erstes Nachtquartier.

Die Tschierva Hütte liegt auf knapp 2.600 Metern, umgeben von beeindruckenden Gletscher- und Felsformationen. Auch den Biancograt erkennt man hier bereits. Wir sind früh dran und haben noch etwas Zeit bis zum Abendessen, welche wir zum Erkunden des Zustiegsweges nutzen. Nach einem guten Essen gehen wir bald schlafen, sehr lange kommen wir aber nicht zur Ruhe: Frühstück für Biancogratgeher gibt es um 3 Uhr.
Über den Biancograt auf den Piz Bernina
Es ist stockdunkel, als wir um 3:30 Uhr die Hütte verlassen. Das drückt die Stimmung aber ganz und gar nicht. Voller Vorfreude marschieren wir auf dem uns bekannten und durch Katzenaugen und Steinmänner auch in der Nacht gut auffindbaren Zustiegsweg Richtung Biancograt.

Auf etwa 3.100 Metern erreichen wir einen Gletscher. Wir überqueren diesen und kommen zu einem mit Eisenklammern und -stangen versicherten Steig, welchem wir zur Fuorcla Prievlusa folgen.


Auf der Fuorcla Prievlusa beginnt der Biancograt. Die ersten Seillängen klettert man nicht direkt am Grat, sondern etwas unterhalb auf dessen Westseite. Bohrhaken, Schlingen und Fixfriends weisen den ohnehin nicht sehr komplexen Weg.


Eine Verschneidung (3) führt uns auf den Grat, den nächsten Zacken können wir aufgrund der Schneebedingungen ostseitig umgehen.

Alternativ bleibt man am Felsgrat und seilt dann direkt auf den Schneegrat ab. Auskunft zur besten Routenwahl erfragt man am besten am Vorabend in der Hütte. Nun sind wir am namensgebenden und so häufig abgebildeten Teil des Biancogrates: dem Firngrat. Wir schreiten gemächlich aufwärts und genießen die magische Umgebung: Kein Stau, kein Stress, wir haben wirklich Glück!

Auch den nächsten Zacken können wir ostseitig umgehen und kommen bald zum steilsten Gratstück. Hier schaut das Eis dann doch hervor und so kommen die Eisschrauben auch zu ihrem Einsatz (wir hatten zu zweit 2 Schrauben mit, eine dritte wäre empfehlenswert).


Der Grat flacht ab und bald stehen wir am Piz Alv oder Pizzo Bianco, dem 3.994 Meter hohen Vorgipfel des Piz Bernina. Die Schwierigkeiten sind aber noch nicht zu Ende, nun folgt die zweite längere Felspassage. Man seilt sich in eine Scharte ab, erklettert einen Turm (3) und seilt sich abermals ab. In etwas leichterem Gelände (2) klettert man auf den 4.048 Meter hohen Piz Bernina.




Abstieg über den Spallagrat
Auch der Abstieg über den Spallagrat darf nicht unterschätzt werden. Man muss trotz der fortgeschrittenen Zeit weiterhin vollkommen konzentriert sein. Wir folgen dem Felsgrat bis zum Nebengipfel La Spedla (I-II), dann weiter auf einen Firngrat, bis wir auf die erste Abseilstelle treffen. Von hier seilen wir uns einige Male von dem durch Firnpassagen unterbrochenen Grat ab, bis wir das oberste Ende des Morteratschgletschers erreichen.


Die letzten 200 Höhenmeter Abstieg auf dem Gletscher vergehen schnell und wir kommen geschafft, aber zufrieden an unserem 2. Tagesziel, der rustikalen Marco e Rosa Hütte an. Diese erreicht nicht die Standards von SAC- oder AV-Hütten, das stört uns aber nach dem langen Tag nicht wirklich, eher sind wir froh, dass es hier auf über 3.600 Metern eine Hütte gibt. Die Höhe macht mir etwas zu schaffen, aber ein Cola beim Abendessen und ein Ibuprofen mindern die Kopfschmerzen und so komme ich doch zu einem relativ erholsamen Schlaf.

Piz Palü Traverse
Die Piz-Palü-Überschreitung ist die logische Erweiterung der Tour am nächsten Tag und wird von den meisten Biancograt-Bezwingern gemacht. Alternativ kann man über die Fortezza nach Morteratsch oder mit Gegenanstieg auch zur Diavolezza absteigen. Egal welche Route, man geht am Gletscher Richtung Osten und kommt schnell in eine Spaltenzone unterhalb des Piz Argient. Wir folgen der Spur bis unter die Bellavista Gipfel, wo die Route über die Fortezza nach links abzweigt. Hier wählen wir die rechte Spur und kommen in die Fuorcla Bellavista. Wir überklettern den Grat des Piz Spinas (I-II) und erreichen die Westflanke des Piz Palü Centrale.


Einige atemberaubende Firnpassagen stehen uns nun bevor: Der Aufstieg zum Hauptgipfel ist noch weniger spektakulär, danach wird der Firngrat immer dünner und erfordert höchste Trittsicherheit.

Wir schreiten mit höchster Konzentration über den Ostgipfel, der Grat läuft dann in eine Scharte zusammen und flacht ab. Für den Abstieg über den spaltenreichen Persgletscher verbinden wir uns mit einer anderen Zweierseilschaft aus Österreich, welcher wir seit der Tschierva Hütte immer wieder begegnet sind. Der Abstieg über den Gletscher ist nicht zu unterschätzen und wir sind froh, dass es noch relativ früh am Tag ist und die Schneebrücken alle gut halten.

Nach einem kurzen Gegenanstieg verlassen wir auf knapp über 3.000 Metern den Gletscher und befinden uns erstmals seit der Tschierva Hütte wieder auf einem Wanderweg. Der Weg bringt uns vom Hochalpinen direkt in den Massentourismus. Unzählige Menschen tummeln sich im Nahbereich der Diavolezza-Bergstation und genießen das beeindruckende Panorama, während ein Pistennetzwerk aus mit Planen bedecktem Altschnee (siehe „Snowfarming“) der Landschaft einen schockierend-schrägen Touch verleiht.

Man könnte mit der Diavolezza-Gondel ins Tal fahren und sich 1.000 Höhenmeter Abstieg ersparen, wir sparen uns aber lieber die 31 Franken Ticketpreis und wandern gemütlich bis zur Zughaltestelle „Bernina Diavolezza“. Schon wenige Minuten später kommt die rhätische Bahn, welche zu unserer Überraschung einen Freiluft-Panoramawaggon besitzt. Bei einem angenehmen Luftzug blicken wir auf die Berninagruppe und die von uns erklommenen Gipfel zurück und sind dankbar, solche Touren durchführen zu können.







